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Brief von Georges Ibrahim Abdallah
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde,
Anfang des Jahres ging mir manchmal nachts durch den Kopf, dass bald,
sehr bald sogar, nicht mehr diese scheußlichen Mauern zwischen uns
liegen werden, wenn ich mich an Euch, FreundInnen und GenossInnen,
wende. Ich sagte mir, dass es sehr wahrscheinlich nur noch eine Frage
von wenigen Wochen sein wird , bis wir die Möglichkeit haben, uns weit
weg von diesem finsteren Ort zu sehen.....dass ich Euch dann Alle
begrüßen und sogar fest umarmen und Eure Gesichter aus der Nähe sehen
kann, Euch zuhören und mit Euch sprechen kann, ohne irgendwelche Tricks
anzuwenden, mit denen ich versucht habe, den Bedingungen der
Gefangenschaft ein wenig zu entkommen.
Selbstverständlich habe ich mir auch gesagt, dass wir genügend Zeit
hätten zum diskutieren und Lehren aus den Solidaritätsinitiativen zu
ziehen, die ihr über die langen Jahre meiner Gefangenschaft habt
entwickeln können.
Wie viele andere GenossInnen und FreundInnen habe ich die verschiedenen
Botschaften, „Ratschläge“ und andere Ansinnen, die an die Behörden
meines Landes gerichtet waren, besonders aufmerksam verfolgt.
GenossInnen, ab Mitte Februar ließen die Manöver der französischen
Regierung keinen baldigen positiven Ausgang mehr vermuten.
Nach mehreren Monaten Unentschlossenheit hat die Regierung einen Schnitt
gemacht: es komme nicht in Frage, Abdallah raus zu lassen.
Und natürlich stehen die Richter des Kassationsgerichts immer parat, um
die Entscheidung zu kaschieren und zu billigen ….. und die lapidaren
Formeln gehen ihnen mit Sicherheit nie aus: „ ...der Antrag auf
Freilassung ist nicht zulässig...“. Und so lautete ihr Urteil vom 4.
April.
Ihr wisst bestimmt, Genossinnen und Genossen, dass in den letzten
Monaten überall Solidaritätsinitiativen entstanden sind, hier in
Frankreich und auch andernorts und vor allem im Libanon ....., und
immer im legalen Rahmen der in den jeweiligen Ländern geltenden
Gesetze. Trotzdem, oder vielleicht deswegen, haben die direkt
betroffenen imperialistischen Behörden es für besser gehalten, das
Urteil des Strafvollzugsgerichtes und auch das Urteil des
Appellationsgerichts aufzuheben und mich weiterhin in den Kerkern der
Republik festzuhalten.
Wie immer meinen diese kriminellen reaktionären Behörden, dass alles
mit der Zeit nachlässt, sich erschöpft und vielleicht verschwindet.
Aber sie irren sich und haben sich in diesem Punkt immer schon geirrt.
Und die Tatsachen liegen auf dem Tisch, so hartnäckig, dass man sie
nicht außer Acht lassen kann. Seit so vielen Jahren sitzen mehrere
Tausende in den zionistischen Kerkern und ihr Widerstand ist, genährt
durch die unerschöpfliche solidarische Eigendynamik der Bevölkerung,
immer noch ungebrochen.
Genossinnen und Genossen, wie ihr wisst, wird in diesen Tagen der Nakba
von 1948 gedacht. Sie ist allgegenwärtig, eine klaffende Wunde.....,
eine Wunde, die immer noch blutet - ein ganzes Volk ist damit
verknüpft. Sie ist überall und in Allem. Sie ist Flüchtlingslager und
Elendsgassen und Massaker und Terror und ständige Erniedrigung. Sie ist
die Alten und die weniger Alten, die ein ganzes Leben auf die Stunde
der Rückkehr warten und dabei voller Zärtlichkeit die alten Schlüssel
in den Händen halten, die bis zum heutigen Tag vom Vater an den Sohn
weitergegeben werden....., sie ist das Verbrechen, das vor den Augen
der Welt wiederholt wird. Die Imperialisten von überall haben sich
daran beteiligt und unterstützen weiterhin, auf die eine oder andere
Art, die Beraubung und die Zerstörung eines ganzen Volkes.
Wie ihr seht, liebe Genossinnen und Genossen, ist die Nakba weit
entfernt davon, ein schmerzhafter Moment zu sein, der der Vergangenheit
angehört, dessen man aus Respekt vor den Ahnen gedenkt. Sie ist der
gelebte Alltag eines ganzen Volkes. Aus ihrem Schoss kommen ganze
Kolonnen von Fedayin und die Kinder der Intifada. Sie ist das
alltägliche Palästina.
Genossinnen und Genossen, einst sagte Ben Gurion wie alle reaktionären
Kriminellen der 40er Jahre, zu denen, die ihn vor der palästinensischen
Revolution warnten. „... auch Sachen wie diese altern mit der Zeit,
und enden damit, dass sie sterben und verschwinden.“
Aber sechs Jahrzehnte später ist Palästina immer noch da, genauso
lebendig und widerständig. Die Entschlossenheit der palästinensischen
Volksmassen ist unerschütterlicher denn je, trotz des Terrors und trotz
aller erdenklichen Scheußlichkeiten. Auch die palästinensischen
Gefangenen sind trotz der langen Jahre immer noch da. Ihren
Kerkermeistern stehen sie aufrecht gegenüber und verkörpern den
heldenhaften Widerstand Palästinas und beweisen allen Ben Gurions, dass
Palästina nicht nur leben, sondern sicher auch siegen wird.
Solidarität ist eine Waffe, Genossinnen und Genossen, nutzen wir sie
gut!
Mit Sicherheit begegnet man ihrer kriminellen Verbissenheit nicht
damit, dass man hie und da nach juristischen Tricks sucht, sondern eher
dadurch, dass man unerschütterliche Entschlossenheit im Kampf gegen ihr
kriminelles imperialistisches System beweist.
Nieder mit dem Imperialismus und seinen zionistischen Kettenhunden und
anderen arabischen Reaktionären!
Ruhm den kämpfenden Massen!
Ehre den Märtyrern!
Gemeinsam, Genossinnen und Genossen, und nur gemeinsam, werden wir
siegen!
Ich grüße Euch alle von ganzem Herzen
Euer Genosse Georges Ibrahim Abdallah
Samstag, 18. Mai 2013