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Grußwort von Olli zum 19.6.2013
Liebe KollegInnen, GenossInnen und FreundInnen,
Es ist nun vier Wochen
her: In drei Städten haben BAW und BKA zum Schlag gegen vermeintliche
“linksextremistische” Strukturen ausgeholt. In diesem Zusammenhang
wurde ich aus dem sogenannten Offenen Vollzug in den geschlossen nach
Tegel verlegt. Nun ist mir als Reinickendorfer der Sportplatz des SC
Tegel wohlbekannt, aber diese “Tegeler Stuben” der JVA sind nicht
unbedingt eine Top-Adresse. Sie hat mit Wohnlichkeit nichts zu tun.
Ich sitze hier also mitten in einer Zwangsgemeinschaft von 50-60 Jungs.
Knackis von unterschiedlichster Herkunft und ich sag’ mal mit den
verschiedensten Interessengebieten. Nein, von Totalisolation kann keine
Rede sein – eher von Totalintegration in eine Knacki-Welt, die sich
nach ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickelt hat. Nur ist der alte
Kodex, den Romantiker sich rühmen mögen, weitgehend auf der Strecke
geblieben. Es gibt die eine oder andere positive Ausnahme. Die Regel
sind sie leider nicht. Die Parole “Knastkampf ist Klassenkampf”
scheitert hier an der Realität des Knastalltags. In dieser Realität
dominiert nicht nur die Individualisierung, sondern in erster Linie das
Motiv des eigenen Vorteils. Das geht soweit, dass viele eher mit dem
Justizapparat paktieren, als sich mit Mitgefangenen zu solidarisieren.
Für jemanden, für den Solidarität im Kampf gegen Ausbeutung und
Unterdrückung stets eine Antriebsfeder war, kann das schon ziemlich
desillusionierend sein. Dennoch sollte man diese Alltagsrealität nicht
einfach wegdrücken… Eine Gefangenenbewegung wie in anderen Ländern ist
hier jedenfalls nicht in Sicht. Als Linker bist du hier außerdem ein
Exot. Du tickst eben anders und fällst schlicht und ergreifend aus dem
Rahmen. Das ist die Situation. Was ist aus der nun zu machen? Es gilt,
das feingesponnene Disziplinierungs- und Sanktionssystem hinter den
Knasttoren zu denunzieren. Manche Dinge, die draußen banal scheinen
mögen, erfahren hier eine potenzierte Bedeutung: z. B. eine angemessene
therapeutische und medizinische Versorgung, eine
Nahrungsmittelversorgung, die den menschlichen Bedarf an Nährstoffen
deckt und frei von Giften ist, eine selbstbestimmte Ernährungsweise (in
meinem Falle: vegan). Dann wären da Aufgaben wie die Hinterfragung der
Funktion der SozialarbeiterInnen, die gleichzeitig Teil des
Justizapparates sind, und vieles mehr. Es geht darum, Schritt für
Schritt einen Forderungskatalog zu erstellen, der den Knackis zumindest
ein Minimum der so gerne zitierten und dann doch mit Füßen getretenen
Menschenrechte wiedergibt. Klar, das bedeutet erstmal nicht mehr als
eine Liberalisierung des sogenannten Strafvollzugs, wäre aber für viele
hier schon ein Lichtblick. Das ist der Boden der Tatsachen hier. Eine
andere Tatsache ist die Notwendigkeit, linke Politik zu verteidigen.
Wir wissen es längst: Protest und Widerstand rufen die Staatsmacht auf
den Plan. Solidarität mit den AktivistInnen schafft eine wichtige Basis
für erneuten Protest und Widerstand in dieser brave new world. Die Wahl
der Mittel und Formen muss dabei jeder für sich selbst entscheiden. Die
Solidarität mit politischen Gefangenen war und ist ein Prüfstein für
den Zustand der aktivistischen Linken – so wird es auch bei mir sein.
Das Soli-Komitee, das sich aufgrund meiner spezifischen Situation um
mich gebildet hat, ist für mich dabei ein zentraler Baustein. In der
gegenseitigen Stärkung von drinnen und draußen liegt schließlich der
Schlüssel, der vielleicht Tore öffnen, wenigstens aber Mauern
durchlässig machen kann. Darauf setze ich. Wir werden einen langen Atem
haben müssen, um uns zielgerichtet weiter zu einer Gesellschaft ohne
Ausbeutung und ohne Unterdrückung hinzubewegen und andere auf diesem
Wege mitzunehmen. Solidarität mit den gefangenen GenossInnen weltweit!
Olli